Schamanischer Heilkreis

mit Angelika und Harald Nagelseder, Feldkirch, Jänner 2011

Gemeinsam mit Irmgard mache ich mich auf den Weg von Bregenz nach Feldkirch. Ich bin schon sehr neugierig und gespannt auf den heutigen Abend. Ich habe schon oft mit meiner Freundin Erfahrungen ausgetauscht und freue mich die Schamanin Angelika und den Druiden Harald kennen zu lernen.

 

Es ist kühl als wir das Haus betreten. Wir lassen die Schuhe und Mäntel im Vorraum. Der erste Eindruck als wir den Raum betreten, in dem der Heilkreis stattfindet, ist: „Wir sind nicht allein!“ Und damit meine ich nicht die anderen Personen, die sich hier versammeln. Nein. Ich blicke auf den Hirschschädel, der von der Wand herunterschaut, dessen stolzes Geweih mich sofort an den Hirschgott Cernunnos denken lässt. Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus, ich fühle mich willkommen geheißen.

Ein schamanischer Altar ist an einer Wand des Raumes errichtet. Ich blicke mich neugierig um und kann sie fast sehen, die Wesenheiten, Geister und Naturkobolde, die hier ein- und auszugehen scheinen. Sie fühlen sich offensichtlich wohl hier, genauso wie ich. Ich spüre Aufregung, aber auch etwas Vertrautes.

 

Es wird geräuchert, der wohlbekannte Duft von Salbei und Beifuss steigt in meine Nase, ein Willkommen, ein Rufen, eine Reinigung. Die Schamanin ruft die Himmelsrichtungen an, Mutter Erde und Vater Himmel, ich kann den kräftigen Trommelschlag im ganzen Körper spüren.

 

Krafttiertanz

Wir stellen uns im Kreis auf und nacheinander tritt jeder von uns in die Mitte und ruft sein Krafttier um sich während des Tanzes mit der Energie des Tieres zu vereinen. Ich kenne mein Krafttier noch nicht, ich habe viele tierische Begleiter und Helfertiere, aber "mein" Krafttier kenne ich noch nicht.

 

Als ich in die Mitte trete spüre ich wilde Energie, Kraft und die Sehnsucht zu fliegen, meine Arme scheinen sich in Flügel zu verwandeln. Und gleichzeitig zieht es mich zur Erde, ich will die Verbindung und die Kraft, die ich durch meine Beine aufsteigen spüre nicht verlieren. Ich tanze und trommle mit beiden Füssen auf den Boden und scheine Antwort zu bekommen von der Erde. Und sehe ein Bild vor mir, einen geflügelten Hirsch. Die anderen im Kreis begleiten meine Bewegungen mit Trommelschlägen und Energie beginnt durch mich zu fließen und Blockaden zu lösen, es fühlt sich gut an.

 

Runen raunen

Wir beginnen mit Alu, der allgemeinen Schutzrune. Dann folgt neunmal Rit mit der zugehörigen Körperstellung.

Ich spüre wie der Klang, die Schwingung der Rune in meinem Körper Schwingung hervorruft, wie die Laute in meinem Hals vibrieren und sich verändern, mich verändern? Mich berühren.

 

Unterweltreise – begleitet von Trommelschlag

Wir suchen uns alle einen Platz und legen uns auf dem Rücken auf den Boden. Ich bedecke meine Augen mit einem Schal.

 

Es ist dunkel vor meinen Augen und doch kann ich Schemen erkennen, Formen. Ich versuche meinen Eingang in die Unterwelt zu finden und denke an einen Höhleneingang, den ich während einer Rast auf einem Klettersteig der Rax in der gegenüberliegenden Bergwand gesehen habe. Dieser Eingang schien mir damals besonders, ich stand verschwitzt auf einem kleinen Felsvorsprung, die Hand fest an der Metallsicherheitskette und habe mir gewünscht ich könnte diese Höhle erkunden. Doch es bleibt dunkel. Ich kann keinen Eingang finden.

 

Als ich mich, etwas enttäuscht, damit abfinde, dass meine Reise endet bevor sie überhaupt beginnen konnte, taucht plötzlich vor meinem inneren Auge ein riesiger Hirschkopf auf, von dem ein schwaches, goldenes Leuchten ausgeht. Überrascht blicke ich ihn an, sollte ich meinem Krafttier nicht erst im Inneren der Höhle begegnen? Doch ich spüre großes Vertrauen und bewege mich auf das Tier zu. Und nach und nach wird der ganze Körper des Hirsches sichtbar, er scheint sich aus goldenem Licht zu formen, das aus der Dunkelheit zu einer Gestalt gerinnt. Gemeinsam treten wir durch den Eingang der Unterwelt in einen langen, finsteren Höhlengang. Ich lege meine linke Hand vertrauensvoll auf die Schulter des Tieres und das weiche, warme Fell spendet mir Kraft und Zuversicht. Wir wandern den dunklen Höhlengang entlang bis ich helles Licht erkennen kann. Erneut bin ich sehr überrascht, ich habe mir die Unterwelt als nachtdunklen, düsteren Ort vorgestellt, doch als wir aus dem Höhlengang treten ist es taghell.

 

Der Hirsch dreht sich zu mir um und scheint mir wohlwollend zuzunicken. Auf seinem Rücken kann ich etwas erkennen. Es formen sich Ausbuchtungen. Dann erscheint ein Schlitten und der Hirsch trägt ein Geschirr. Er blickt mich erwartungsvoll an und ich steige ein. Schon geht es los! Wir erheben uns in den Unterwelthimmel und setzen unsere Reise in einem fliegenden Schlitten fort. Die Helligkeit des Tages, der uns begrüßte, wird weniger, die Abenddämmerung bricht herein. Sterne kann ich keine erkennen, doch der Himmel ist von einem eigenartigen Leuchten erfüllt.

 

Als wir wieder auf dem Boden aufsetzen und der Schlitten wie von selbst verschwindet, sehe ich wieder diese Ausbuchtungen auf dem Rücken des Tieres. Etwas bewegt sich unter seiner Haut. Flügel erscheinen. Doch es ist nicht der geflügelte Hirsch, den ich beim Krafttiertanz gesehen habe. Eine wunderschöne Schnee-Eule, wie aus dem Hirschfell geboren, sitzt plötzlich vor mir.

Voller Ehrfurcht betrachte ich den schneeweißen Vogel, da fällt mir ein, dass ich mich vorstellen soll, wenn ich einem Tier/Krafttier begegne, fragen was ich für das Tier tun kann/was es für mich tun kann. Das Vorstellen ist eher ein Kontakt aufnehmen, es fühlt sich gut an mit der Eule in Verbindung zu treten. Dann frage ich ob ich etwas tun kann für sie. Und es erscheint ein Nest. Zuerst taucht darin ein Ei, dann ein Zweites auf. Ich spüre, ich soll auf die Eier aufpassen, sie beschützen. Vorsichtig nehme ich beide in meine Hände. Das Nest verschindet und die Eule fliegt davon. Fragend blicke ich den Hirsch an. Wieder scheint er mir zu sagen, dass ich ihm folgen soll.

 

Wir wandern über eine weite Ebene, schützend wärme ich die Eier an meinem Körper. Plötzlich knackst es ganz leise. Dann bricht die Schale des ersten Ei’s und kurz darauf die des Zweiten. Zwei Eulenküken schlüpfen vor meinen Augen und erblicken mit neugierigen Augen das Licht der Welt. Ich folge dem Hirsch bis wir zu einem großen Baum gelangen. Als ich ihn genauer betrachte sehe ich, dass überall in den Ästen große Schnee-Eulen sitzen. Ich nehme die zwei Eulenküken in eine Hand und beginne am Stamm des Baumes hinaufzuklettern, was erstaunlich einfach ist. Hoch oben in den Ästen, in der Mitte des Baumes ist ein riesiges goldenes Nest, auch die Äste leuchten in einem goldfarbenen Strahlen. In der Mitte des Nestes sitzt eine weise, alte Schnee-Eule, auch ihr weißes Gefieder ist von goldenem Schein umhüllt. „Die Schnee-Eulen-Königin!“ kommt mir in den Sinn. Langsam trete ich vor und setzte die zwei frisch geschlüpften Küken vor der leuchtenden Eule in das Nest. Sie blickt mich dankbar und zufrieden an. Glücklich meine Aufgabe gut erfüllt zu haben mache ich mich auf den Rückweg und klettere den Baumstamm hinunter, wo ich schon vom Hirsch erwartet werde.

 

Mein Rückweg scheint eine lange Zeit gedauert zu haben, denn als ich in den Himmel blicke, fliegen zwei große, seltsam vertraute, Schnee-Eulen über mir. Sie lassen sich links und rechts auf meinen Schultern nieder und ich weiß, die Schnee-Eulen-Königin hat mir ihre zwei Kinder als Beschützer gesandt. Eine zeitlang bleiben die beiden auf meinen Schultern sitzen, dann schwingen sie sich mit majestätischem Flügelschlag in den Himmel.

 

Wieder gibt mir der Hirsch zu verstehen, dass ich ihm folgen soll. Wir wandern über die weite Ebene, die zusehends in Schneefelder übergeht. Plötzlich merke ich, dass mit meinem Führer etwas nicht stimmt. Er bleibt stehen, dreht sich um und sieht mich mit traurigen Augen an. Dann bricht er vor meinen Augen zusammen und bleibt im Schnee liegen. Erschrocken beuge ich mich über ihn und frage mich in Panik wie ich ihm helfen kann. Da höre ich lautes Heulen. Ein Rudel Wölfe bewegt sich in schnellem Tempo auf uns zu. Ich weiß, ich muss den Hirsch beschützen, sonst werden ihn die Wölfe töten und fressen. Ich habe große Angst, doch ich stelle mich vor den Hirsch und blicke dem Wolfsrudel entgegen. Die Wölfe knurren, heulen und springen mich an, werfen mich in den Schnee, reißen mir mit ihren Zähnen blutige Wunden. In verzweifelter Panik kann ich nur denken: „Was wollt ihr von mir? Warum tut ihr das?“ Da richtet sich der große Wolf vor mir auf und scheint mit mir zu sprechen: „Hör auf, dich und eine Kraft zu verleugnen. Vertraue dir.“ Erstarrt vor Angst spüre ich wie mein Körper beginnt sich zu verändern. Ich blicke an mit hinunter. Ich bin durchsichtig und scheine nur aus weißen, pulsierenden Energielinien zu bestehen, die meine Körperumrisse nachzeichnen. Nur mein Herz leuchtet übergroß und blutrot in mir. „Folge deinem Herzen“, knurrt mich der größte Wolf an. Ich habe noch immer große Angst. Ich würde dem Wolf gerne sagen, dass ich seine Botschaft verstanden habe, doch ich schaffe es nicht. Der Wolf springt auf mich zu und beginnt mich bei lebendigem Leibe aufzufressen. Verzweifelt rufe ich um Hilfe, da stehe ich plötzlich wieder neben dem Wolf und Pia, Schamanenhund und tierische Freundin, ist an meiner Seite. Der Anblick ihres braun gestromerten Fells in mitten der Wolfsmeute tut mir gut. Ich nehme Kontakt zu Pia auf, begrüße sie. Pia begrüßt mich und auch das Wolfsrudel. Und plötzlich laufen wir alle. Ich habe vier Beine, Pfoten, eine große, grauschwarze, spitze Schnauze und laufe mitten im Wolfsrudel. Ich fühle mich wild, frei, lebendig, spüre eine wütende, aggressive Wildheit in mir, etwas in mir erwacht zum Leben. Instinkte, vergraben, verschüttet, dürfen gefühlt werden. Meine Schnauze verzieht sich zu einem wilden Knurren, ich drehe im Laufen meinen Kopf zur Seite und es ist als könnte ich in mein eigenes Wolfsgesicht blicken. Dann dringt ein lautes Heulen aus meiner Kehle und ich spüre mich, meine Kraft, meine Lebendigkeit und denke an das, was der große Wolf mir begreiflich machen wollte.

 

Dann verlasse ich das Rudel und kehre wieder zu der Stelle zurück, an der der Hirsch zusammengebrochen ist. Voller Erleichterung sehe ich, dass er schon auf mich wartet. Ich habe wieder menschliche Gestalt und begrüße das Tier voller Freude, streichle sein warmes, weiches Fell. Gemeinsam wandern wir zum Höhlenausgang um aus der Unterwelt zurückzukehren.

 

Ein intensiver, interessanter Abend liegt hinter mir. Ich habe viel gelernt und auf der Heimfahrt nach Bregenz haben Irmgard und ich uns noch viel zu erzählen. 

 

Martha, Jänner 2011

 

Pia und ich
Pia und ich

Martha's Wortgarten